Sechs Jungtiere ist die diesjährige „Storchenbilanz“ im Vogel- und NaturschutzTierpark Herborn. Waren Sie kurz nach dem Schlupf Anfang Mai noch klein und grau, so sind innerhalb von nur acht Wochen ausgewachsene schwarz-weiße Schönheiten aus ihnen geworden. Und die üben nun auch schon täglich das Fliegen. „Es ist eine Freude ihnen zuzuschauen“ sagt Parkleiterin Britta Löbig. „Sie müssen jetzt beständig ihre Brustmuskulatur trainieren, damit sie auch weitere Strecken schaffen“.
Die Zeit zum Üben ist allerdings kurz: Anfang bis Mitte August ziehen junge Weißstörche in der Regel Richtung Süden. Sie ziehen immer ohne ihre Eltern los, die normalerweise erst zwei Wochen später starten. Die Jungen brauchen als Neulinge ein bisschen länger für die Reise und starten dementsprechend auch früher. In den 80er Jahren waren Weißstörche in der Natur kaum noch vorhanden. In ganz Hessen wurden nur drei Brutpaare gezählt, da durch den Verlust des Lebensraumes die einst große Storchenpopulation an den Rand der Ausrottung geriet. Der Lebensraum des Weißstorches sind offene, grünlandgeprägte und großräumige Flussauen, Niederungen und Teichlandschaften. Er gilt, stellvertretend für viele andere ebenfalls selten gewordene, an Feuchtbiotope gebundene Tier- und Pflanzenarten, als Indikator für intakte, ökologisch wertvolle Lebensräume. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft und das Trockenlegen vieler Feuchtgebiete verschwand auch die Vielfalt der Nahrungstiere des Weißstorchs: Auf der Speisekarte stehen vor allem Kleinsäuger, Frösche, Eidechsen, Heuschrecken und andere Insekten.
Dank intensiver Schutzbemühungen zahlreicher Institutionen und vieler engagierter Naturschützer haben sich die Bestände aber seither erholt. Es wurden Lebensräume renaturiert und unter Schutz gestellt, Nistmöglichkeiten geschaffen und die Population durch Auswilderung von in menschlicher Obhut großgezogener Störche gestärkt. Allein im Vogelpark sind in den letzten 50 Jahren an die 100 junge Weißstörche in die Natur entlassen worden. Anhand der Ringe der Vogelwarte Helgoland, die jeder Storch ans Bein bekam, konnte der Aufenthaltsort nachvollzogen werden und natürlich war die Freude groß, wenn Meldungen aus den Winterquartieren in z.B. Spanien kamen, dass es dem jeweiligen Tier gut geht. Zurück nach Herborn ziehen die jungen Störche im Frühjahr aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Sie suchen sich auf dem Weg Richtung Norden einen passenden Platz, kommen aber, wenn überhaupt, nur durch Zufall an ihren Schlupfort zurück.
In den nächsten Wochen kann man die sechs diesjährigen Storchen-Jungtiere dabei beobachten, wie sie üben, immer höhere Sprünge machen und in Kürze auch zum ersten richtigen Flug starten. Bis Mitte August werden sie die Gegend in und um den Vogelpark erkunden, bevor sie die große Reise gen Süden antreten.